Speisen wie zu Goethes Zeiten
Kennen Sie Anna Margarethe Justina Lindheimer? Nein? Anna Margarethe wird am 31. Juli 1711 in Wetzlar geboren und wächst als Tochter des Prokurators des Reichskammergerichtes, Cornelius Lindheimer dort auf. Der Vater stirbt 1722. Bereits seit 1717 arbeitet am Reichskammergericht der junge Jurist Johann Wolfgang Textor, der im Hause der Lindheimers ein gern gesehener Gast ist. Schnell wird er auf Anna Margarethe aufmerksam – und der fast 18 Jahre ältere Mann hält, sehr zum Stolz der Lindheimer-Witwe um ihre Hand an, als sie gerade einmal 14 Jahre alt ist. Im Februar 1726 heiraten die beiden und die Wetzlarerin zieht wenig später mit ihrem Gatten nach Frankfurt.
Der Name Johann Wolfgang lässt das Verwandtschaftsverhältnis bereits erahnen: Bei Lindheimer und Textor handelt es sich um die Großeltern des Dichters Johann Wolfgang Goethe. Und wie auch der berühmte Enkel hat sie etwas für die Nachwelt hinterlassen, wenngleich auch von geringerer Bedeutung als die Werke Goethes: Ein Kochbuch, das die Zeit Mitte des 18. Jahrhunderts in einem bürgerlichen Haushalt Frankfurts widerspiegelt. Die handschriftliche Rezeptesammlung hatte Anna Margarethe wahrscheinlich zu ihrer Konfirmation erhalten – wer die Schenkerin war, ist nicht mehr festzustellen. Schriftproben zufolge war es aber eine Frau, nicht aber Lindheimers Mutter. Im Laufe der Zeit wurde das Buch im Hause Textor fortgeschrieben.
Süßspeisen, Gebäck, Fleisch und Fisch
Glossar hilft beim Verständnis
Rezepturen auch für Medikamente und andere Haushaltstipps
Neben Rezepten für Lebensmittel – „alle für den täglichen Gebrauch bestimmt“, erklärt von Schneidemesser, enthält das Buch auch zahlreiche Rezepturen für Medikamente – etwa ein „kayserliches Haubt- und Magenpulver“, das der Beschreibung nach gegen nahezu alle Krankheiten wirkt. Es gibt Mittelchen gegen Zahnschmerzen und so allerlei, was einen aus heutiger Sicht eher an eine Hexenküche denken lässt, doch die Rezepturen und auch einige Kochrezepte sind meist mit „Probatum est“ gekennzeichnet, was Latein ist und soviel bedeutet wie „Es ist erprobt“.
Doch auch andere Haushaltstipps kommen zum Tragen, und vor allem der Anfang des Rezepteteils mag sich befremdlich lesen, wenn dort die Rede von Wachs und Terpentin ist. Das kann doch nichts zu essen sein? Nein, ist es auch nicht, sieht aber so aus. Hier wird erklärt, wie man sogenannte Tafelaufsätze herstellt – täuschend echte Lebensmittel aus Wachs, die einzig und allein Dekozwecken auf der festlich gedeckten Tafel dienten. Reinbeißen ist hier nicht empfohlen.
„Recept für einen ohnvergleichlichen Biscuit Kuchen“
Wer sich jetzt einmal ausprobieren möchte, dem soll die Kostprobe nicht verwehrt werden. Hier das „Recept einen ohnvergleichl. Biscuit Kuchen zu Backen“: „Mann nimmt 10 Stück Eyer und thut das Gelbe als auch das Weiße à parte in ein hohes Töpfgen, und schläget zuerst das weiße wohl zu Schaum, nacherho nimmt man das Gelbe und thut es zu dem weißen und schlägt dasselbe wohl durcheinander, und setzet dießes in etwa bey das Feuer daß es Milch lau wird und nimmt ein ½ Pfund feine Canarien Zucker, recht fein gestoßen, und durch ein feines Sieb geräutert, und rühret daßelbe nach und nach darunter, und reibet die Schahl von einer Citron auf einem Reib Eißen und rühret dieselbe gleichfalls darunter; So dann nimbt man 20 Loth, fein durch geräutert weiß Mehl und rühret solches auch nach und nach darunter, und schmieret die Form ein mit wenig Butter, und thut diesen Teig in die Form, und läßet solches gantz gemach Backen. Wenn er garist, sieht er gelblich auch. NB Der Teig muss wohl durch einander geschlagen werden. Probatum est. Vor Gesunde, met etwas Wein gegessen, stärcket die Lebens Geister, und dienet sonderheitlich vor Unfruchtbahrkeit“. Viel Spaß beim Ausprobieren.