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Sägen, Fräsen, Bohren – was klingt wie der Beginn eines Werbespots für einen Handwerksbetrieb, beschreibt den Alltag in der Holzwerkstatt der Lebenshilfe Wetzlar-Weilburg mit wenigen Begriffen. Doch das ist viel zu kurzgefasst, denn es geht in der Holzwerkstatt nicht nur um die Tischlerarbeiten an sich, sondern vor allem um die Menschen, die hier die Arbeit verrichten: Die Lebenshilfe leistet einen wichtigen Beitrag zur Inklusion und zur Teilhabe von Menschen mit körperlicher und/oder geistiger Beeinträchtigung. In den Werkstatthallen am Schmittenberg, wo einst die Panzer der Bundeswehr gewartet wurden, entstehen unter anderem Möbelstücke für den Outdoor-Bereich – so auch die schicken neuen Sitzbänke vom Typ „Wetzlar“, die am Lahnuferweg im Bereich der Hintergasse aufgestellt wurden.
Der neue und eigens kreierte Sitzbanktyp, der im Zuge des Stadtumbauprojektes „Quartiere an der Lahn“ (der Bereich rund um den ehemaligen Lahnhof, Anmerkung der Redaktion) erschaffen wurde, soll noch an mehr Stellen aufgestellt werden – 30 weitere Bänke des Typs hat die Holzwerkstatt bereits an die Stadt Wetzlar ausgeliefert. Diese sollen sich in naher Zukunft an beiden Seiten der Lahn sowie im Stadtteil Dalheim wiederfinden. Sollten weitere Umbaumaßnahmen im Stadtgebiet und den Stadtteilen geplant werden, sollen weitere Bänke des Typs „Wetzlar“ folgen, heißt es aus dem verantwortlichen Stadtplanungsamt.
Holzwerkstatt Wetzlar
Blick in die Holzwerkstatt der Lebenshilfe Wetzlar-Weilburg © Sabine Glinke

Schwerpunkt: Möbel für den Außengebrauch

Doch natürlich stellt die Holzwerkstatt noch weitere Produkte her. „Der Schwerpunkt liegt auf der Massivholzverarbeitung, also Dinge für den Außengebrauch“, erklärt Werkstattleiter Schreinermeister Georg Freitag. Auch die vom Lions-Club gesponserte Sitzgarnitur, die 2021 als Rastplatz am Bismarckturm eingerichtet wurde (der Bismarckturm ist ein Knotenpunkt für die Wanderwege Lahnwanderweg, Drei-Türme-Weg, Goetheweg und Rautenweg), wurde in der Holzwerkstatt produziert. Doch nicht nur in und um Wetzlar findet man die Produkte aus der Holwerkstatt Wetzlar: Die schweren Picknickgarnituren, die hier gebaut werden und die man häufig an Wanderwegen und Rastplätzen findet, sind deutschlandweit gefragt und bekannt. Die Auftraggeber: Städte, Gemeinden, Schulen, Kindergärten. Aber auch Privatpersonen bestellen hier Möbelstücke. Neben der direkten Beauftragung arbeitet die Holzwerkstatt auch mit vielen Betrieben als Partner zusammen: Mit Architekturbüros für Garten- und Landschaftsplanung oder mit Garten- und Landschaftsbaubetrieben. Ein Partner ist etwa die Firma Rinn aus Heuchelheim – wenn dort Außenanlagen geplant werden, stammen die verwendeten Holzelemente oftmals aus der Holzwerkstatt.

"Es geht nicht in erster Linie ums Produkt"

Bis vor kurzem gehörte auch die Ausstattung von Spielplätzen zum Portfolio. „Ein Bereich, den wir leider gerade abwickeln und in Zukunft nicht mehr bedienen werden“, sagt Georg Freitag. Zu kompliziert seien hier die Vorgaben. Er erklärt: „Bei uns geht es ja nicht in erster Linie ums Produkt.“ Seine Kollegin Mareike Würffel, bei der Holzwerkstatt für den sozialpädagogischen Teil verantwortlich, nickt. Es gehe um die Menschen, die hier Arbeit finden. „Unsere Aufgabe: Wir begleiten, betreuen und befähigen Menschen mit Behinderung, die nicht oder noch nicht am primären Arbeitsmarkt teilnehmen können". Entsprechend werden bei der Holzwerkstatt die Produkte an die Fähigkeiten der Mitarbeitenden angepasst, oft müssen dafür eigene Prozesse und Hilfsmittel entwickelt werden.
Dazu heißt es auf der Webseite der Lebenshilfe: „Die Lebenshilfe Wetzlar-Weilburg e.V. unterstützt aktuell an fünf Standorten Menschen mit einer geistigen und mehrfachen Behinderung im Bereich Teilhabe, Bildung und Arbeit. Im Mittelpunkt stehen dabei die Menschen mit ihren Wünschen, Bedürfnissen und Fertigkeiten. Unser Ziel ist es, dass jeder Mensch bei uns so arbeiten kann, wie er es sich wünscht und vorstellt. Wir leisten die Hilfe, die er dafür braucht und benötigt.“
Picknick-Bank
Ein beliebtes Produkt ist die Picknickbank. © Sabine Glinke

Arbeiten gemäß Fähigkeiten und Bedürfnissen

Das ist aufwendig und entsprechend muss die Produktpalette kleiner und angepasst sein. „Klar können wir hier auf Anfrage auch Einzelstücke anfertigen wie jede Schreinerwerkstatt“, sagt der Werkstattleiter beim Rundgang, aber: „Das würde sich beim Kunden preislich auswirken, da wir die Prozesse an die Mitarbeiter anpassen müssten. Oder das feste Personal muss das ausführen. Das ist aber nicht der Sinn hinter unserer Arbeit“. 75 Menschen mit Beeinträchtigung arbeiten bei der Holzwerkstatt derzeit in verschiedenen Arbeitsgruppen gemäß ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen. Manch einer kann gut und strukturiert sechs Stunden arbeiten, andere brauchen einen Ruheraum, um sich zwischendurch zurückziehen oder malen zu können. Bei der Lebenshilfe ist das alles möglich. Dazu kommen 20 Festangestellte ohne Handicap, die als Gruppenleitungen, Fahrer oder Ähnliches arbeiten. Die meisten von ihnen sind gelernte Schreiner/Tischler, teilweise mit Meisterbrief, außerdem verfügen alle über eine Zusatzausbildung für die Betreuung von Menschen mit Behinderung.
Kaminanzünder
Sogar als Geschenkset gibt es die beliebten Kaminanzünder. © Sabine Glinke

Nistkästen, Memory, Kaminanzünder

Doch nicht nur Möbelstücke werden hier gefertigt. Neben diesen entstehen hier in den unterschiedlichen Arbeitsgruppen Paletten in verschiedenen Ausfertigungen, auch Verpackungen für die Maschinenbauindustrie werden hier gebaut, ebenso welche für den See- und Luftverkehr nach IPPC-Standard. Auch Kleinigkeiten werden in der Holzwerkstatt gefertigt, hier entstehen Nistkästen und Memory-Spiele. Ein echter Verkaufsschlager sind die kleinen Bündel mit in Wachs getränkten Kaminanzündhölzern, die es sogar als Geschenk-Edition gibt – auf einer niedlichen dekorativen Mini-Palette. Produkte aus der Holzwerkstatt gibt es im Bistro der Lebenshilfe am Wetzlarer Eisenmarkt zu kaufen. Übrigens: Das Bistro ist organisatorisch der Holzwerkstatt zugeordnet, bildet dort eine eigene Arbeitsgruppe. Auch eine Hauswirtschaftsgruppe gibt es. Das Mittagessen kommt aus der Lebenshilfe-eigenen Küche in Aßlar.

Nistkästen
Auch Nistkästen werden hergestellt. © Sabine Glinke

Früher Panzerhalle, heute Holzwerkstatt

Die Holzwerkstatt besteht seit 1998. Ihr Zuhause hat sie auf dem Gelände der ehemaligen Sixt-von-Arnim-Kaserne am Schmittenberg in Wetzlar gefunden. In den Hallen, die noch über die ursprünglichen Tore verfügen, wurden einst die Panzer gewartet. Die einstiegen Gruben in den Hallen wurden verfüllt. Werkstattleiter Georg Freitag arbeitet seit 2018 hier, ein Job, den er nicht mehr missen will. „Man entwickelt sich weiter, lernt jeden Tag dazu und bekommt einen ganz anderen Blick auf die Dinge und vor allem auf die Menschen“. Welche Werkstätten die Lebenshilfe Wetzlar-Weilburg noch betreibt, ist unter www.lhww.de nachzulesen.

Die neuen Wetzlar-Bänke

Im Bereich der Hintergasse am Lahnuferweg laden seit November die ersten fünf „Wetzlar“-Bänke zum Verweilen mit Blick auf die Alte Lahnbrücke ein. Ein Designbüro hatte zunächst den Entwurf für die Bänke erarbeitet. Die Sitzbank besteht in Anlehnung an die Wetzlarer Stahlindustrie aus Edelstahlelementen, gepaart mit Latten aus Eichenholz aus nachhaltiger regionaler Forstwirtschaft. Auf Grundlage dieses Entwurfs wurde im April 2024 eine Vergabe durchgeführt. Der Zuschlag ging an die Holzwerkstatt der Lebenshilfe Wetzlar-Weilburg. Inhalt der Vergabe war auch die Erstellung eines Prototyps mit nachfolgender Vorstellung, eines Probesitzens und der Möglichkeit die Sitzbank nochmals geringfügig nachzubessern. Die Vorstellung und das Probesitzen des Prototyps hat unter anderem mit der Behindertenbeauftragten, Vertretern des Behindertenbeirats sowie Vertretern aus den Fachämtern stattgefunden. Hierbei wurde eine Vergrößerung des Neigungswinkels der Rückenlehne, eine Verlängerung der Armlehne vereinbart und im Nachgang durch die Holzwerkstatt umgesetzt. Der Sitzbanktyp „Wetzlar“ der Lebenshilfe Wetzlar-Weilburg überzeugt durch hohen Sitzkomfort, ansprechende Optik und robuste Ausführung. Der Magistrat hat inzwischen den Sitzbanktyp „Wetzlar“ als gesamtstädtischen Banktyp beschlossen. Bei Neuaufstellungen sowie bei einem nötig werdenden Austausch beschädigter Sitzbänke soll die neue Bank „Wetzlar“ künftig im ganzen Stadtgebiet zum Einsatz kommen.