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Förderverein Grube Malapertus will Niedergirmeser Zechengelände als Museum zugänglich machen.
Förderturm
Der Förderturm ist schon von weitem zu erspähen. © Sabine Glinke
Es ist ein wahres Kleinod, da oben, auf dem Simberg am Rande des Wetzlarer Stadtbezirks Niedergirmes. Zwar kennen viele den gigantischen Steinbruch, in dem sich seit der Stilllegung im Dezember 2010 die Natur ihren Platz zurückerobert hat und der bei Sonnenschein durch den Kontrast aus rotem Lehm, Kalksteinsäulen und viel Grün magisch schillert. Auch den Förderturm auf dem ehemaligen Zechengelände auf 211 Metern über NN kann man schon von weitem erblicken. Der Zahn der Zeit hat bereits an der alten Maschinenhalle genagt, wie Risse im Mauerwerk bezeugen. Auch der Förderturm hat bereits Rost und Patina angesetzt. Doch was sich darunter befindet, da unten, in knapp 60 Metern Tiefe – oder Teufe, wie der Bergmann sagt - das wissen die wenigsten. Wir sind für die Wetzlar Tipps hinabgestiegen in die Wetzlarer Unterwelt.

Durch dieser Tor geht es über 320 Stufen hinab in Wetzlars Unterwelt.
Durch dieser Tor geht es über 320 Stufen hinab in Wetzlars Unterwelt. © Sabine Glinke
Helme Grube Malapertus
In der Grube herrscht Helmpflicht. © Sabine Glinke

320 Stufen in die Unterwelt

309 Stufen geht es hinab in die „versteckte Industrie“, wie Nils Müller sie bei der kleinen Führung nennt. Helm, Geleucht und Arbeitshandschuhe sind Pflicht, denn schon die alten Treppenstufen, die keiner DIN-Norm entsprechen, haben es in sich: Teils unterschiedlich breit und hoch erweisen sie sich in der Dunkelheit als echte Herausforderung beim Weg in den Untergrund. Kaum unten angekommen, offenbart sich auf der Bruchsohle in 37 Metern Tiefe ein weitläufiges Stollensystem. Frühe 80er-Jahrgänge mögen sich zurückversetzt fühlen in ihre Kindertage, erinnert die Szenerie doch an die Puppentrickserie „Die Fraggles“ – jenen humanoiden Wesen, die versteckt von der Außenwelt in einem ausgeklügelten Höhlensystem lebten, unterstützt von den unermüdlichen Arbeitern der Doozer mit den Bauarbeiterhelmchen.
Teufenmesser, der die Tiefe der Förderkörbe anzeigt
Der Teufenmesser zeigt an, auf welcher Sohle in welcher Teufe ("Tiefe") sich die Förderkörbe gerade befinden. © Sabine Glinke

Arbeitseinsatz jeden Samstag

Warum der Vergleich? An die fleißigen Doozer erinnern auch die Menschen, die hier im Wetzlarer Stollen ehrenamtlich nicht nur sprichwörtlich schuften, was das Zeug hält. Der Förderverein Grube Malapertus e.V um den Vorsitzender Nils Müller, der an diesem Tag zusammen mit Martin Bill die kleine Sonderführung möglich macht, hat es sich zum Ziel gemacht, das Zechengelände und die Grube, die sich im Besitz der Heidelberger Sand & Kies GmbH befindet und vom Verein gepachtet wurde, als Erlebnismuseum der Öffentlichkeit zugänglich zu machen – die Genehmigung seitens des verantwortlichen Regierungspräsidiums Gießen liegt bereits vor. Geht alles weiterhin so voran wie jetzt – aktuell wird jeden Samstag gearbeitet – könnten die ersten Besucher schon 2019 durch das unterirdische Stollensystem geführt werden.

Erstmals auch Personenbeförderung

Der Verein arbeitet derzeit an einem echten Clou: Durch den Maschinenschacht sollen in naher Zukunft neben Materialien auch Personen transportiert werden. Das grenzt an eine Sensation, denn: „Eine Personenbeförderung hat es in der Grube Malapertus nie gegeben“, berichtet Martin Bill. Derzeit befinden sich die historischen Förderkörbe zwecks Restaurierung bei einer Fachfirma. Der Verein als Pächter gilt rechtlich als „nachgeordneter Bergbauunternehmer“. „Bei allem, was hier passiert, unterliegen wir dem Bergbaurecht“, erläutert Martin Bill, daher müssen bei solchen Restaurationsarbeiten Experten beteiligt werden. Doch mit den Förderkörben allein ist es nicht getan: Über Tage in der Maschinenhalle des alten Zechenhauses warten bereits neue Seile auf Installation, die historischen Hölzer der Trommel der 100 Jahre alten Fördermaschine müssen ebenfalls erneuert werden – sie befinden sich bereits bei einer Schreinerei. Allein die Neuanfertigung der Hölzer verschlingt einen fünfstelligen Betrag – der Verein finanziert sich aus Mitgliedsbeiträgen, Spenden und der Vermietung der sogenannten Festhalle auf dem Zechengelände in den Sommermonaten.
Fördermaschine
Die Fördermaschine ist fast 100 Jahre alt - Seile und Hölzer müssen vor der Wiederinbetriebnahme erneuert werden. Die Telefonzelle ist komplett schalldicht.. © Sabine Glinke

Einzigartige Anlage

Bei der rund 100 Jahre alten Förderanlage handelt es sich um eine der ältesten Anlagen dieser Art in Deutschland, in Hessen ist die Anlage in ihrer Form einzigartig. Per Schacht geht es hinab auf die verschiedenen Sohlen: Die Abraumsohle liegt auf nur 17 Metern Tiefe, ist nur über den Maschinenschacht erreichbar. Der heutige Maschinenschacht und die Maschinenhalle wurden 1928 errichtet, nachdem der ursprüngliche Schacht verfüllt worden war. Über die Treppe gelangt man derzeit auf die Bruchsohle in 37 Metern Tiefe, ebenso auf die Zwischensohle in 43 Metern Tiefe, von der aus man auch das Sprengstofflager und den Brecher erreicht. Rostige Regale in kleinen Nischen sind eine wahre Fundgrube für „Lost Places“-Fotografen. Eine Etage darunter in 57 Metern Tiefe: Die Tiefbausohle, wo einst ein gigantisches Bandsystem den Kalkstein aus den Steinbrüchen Niedergirmes und Hermannstein transportierte.
Grube Malapertus 37 Meter unter Tage auf der Bruchsohle
So sieht es in der Grube Malapertus 37 Meter unter Tage auf der Bruchsohle aus. © Christian Lademann

Mitglieder leisten Schwerstarbeit

Vier Hauptstollen umfasst die gigantische Anlage, die sich unter Tage bis zum Gelände der August-Bebel-Schule und bis in die Hermannsteiner Straße zum einstigen Buderus-Gelände erstreckte. Eine eigene Welt, tief unter der Erde, nicht sichtbar für die Bevölkerung. „Viele Wetzlarer wussten und wissen gar nicht, was hier alles geleistet wurde“, sagt Müller und spricht von einer „versteckten Industrie“. Bis zu 140 Menschen arbeiteten zu Hochzeiten in den 40er Jahren in der Anlage in beiden Steinbrüchen zusammen. Das weiß der ehemalige Bergmann Franz Gareis aus Biebertal, der derzeit für den Förderverein die Historie der Grube Malapertus aufarbeitet. Franz Gareis selbst arbeite ab 1961 dort, zunächst als junger Steiger, dann ab 1975 als Betriebsleiter. "Im Zuge der fortschreitenden Technisierung und der Verbesserung der Maschinen nahm die Belegschaft im Laufe der Zeit ab", erinnert er sich: 1975 arbeiteten hier noch 51 Bergleute, 1996 waren es nur noch 38. Die Arbeit war ein echter Knochenjob: Im Bruch Hermannstein wurde der Kalkstein bis 1957 und im Bruch Niedergirmes bis 1962 händisch und nur mit Muskelkraft gewonnen. "Eine sehr harte körperliche Tätigkeit", erklärt Gareis. Zwar stellte der Betrieb nach und nach immer mehr auf Maschinen um, Handarbeit wird aber auch heute noch unter Tage von den heutigen „Bergmännern“ des Fördervereins ganz im Verborgenen geleistet. 70 Tonnen Baumaterial haben die Aktiven des Fördervereins, der insgesamt 70 Mitglieder umfasst, bis dato unter Tage gebracht. Echte Schwerstarbeit. Dem geneigten Besucher graust schon davor, die steilen Stufen wieder nach oben laufen zu müssen, auch ohne hier unten geschuftet zu haben. Die Wiederinbetriebnahme der Förderanlage brächte also nicht nur Besucher in die weitläufige Stollenanlage, sondern auch eine enorme Entlastung für die Ehrenamtlichen. Unter Tage wird derweil geklopft, gesichert, Loren voller Baumaterial geschoben und aufgeräumt, was das Zeug hält, ein Stollenteilstück wurde bereits aus Sicherheitsgründen zugemauert.

Helfer und neue Mitglieder willkommen

Beleuchtung soll angebracht werden, soll Loren, Schienen, geologisch interessante Gesteinsformationen in Zukunft in Szene setzen, ebenso das gewaltige Prachtstück, das unter Tage ebenfalls noch zu finden ist: Der historische Kegelbrecher mit Siebanlage auf der Bruchsohle. Es ist noch viel zu tun, das Ziel scheint ambitioniert. Doch Nils Müller und Martin Bill sind stolz: „Wir sind vor unserem Zeitplan“. Dennoch: Über weitere freiwillige Helfer und neue Mitglieder freut sich der Verein immer. Und niemand muss Angst haben: „Bei uns wird jeder für das eingeteilt, was er kann und sich zutraut – es gibt genug zu tun – unter und über Tage“, sagt Müller. Ohnehin werde unter Tage nur im Team gearbeitet und natürlich nach strengen Sicherheitsvorschriften nach Bergbaurecht. Franz Gareis jedenfalls ist stolz auf die jungen Leute: "Es fühlt sich gut an dieses bergmännisch erstellte Kleinod in unmittelbarer Nähe zur Industriestadt Wetzlar zu erhalten". Er selber wolle mit der Niederschrift der Historie zum Erhalt beitragen. Sein Dank gilt aber auch Karsten Porezag, auf dessen Initiative die Vereinsgründung am 10.7.2010 zurückgeht. "Ohne ihn wären wir heute nicht da, wo wir sind", sagt Nils Müller. Und auch, wenn der reguläre Bergbaubetrieb 2011 eingestellt wurde: Schicht im Schacht ist hier noch lange nicht - schon nächsten Samstag verabschieden sich die Freizeit-„Kumpel“, zu denen übrigens auch ein einige echte Bergleute gehören, nach getaner Schicht wieder mit einem fröhlichen „Glück auf!“
Echte Besonderheit unter Tage ist der Kegelbrecher auf der Bruchsohle.
Echte Besonderheit unter Tage ist der Kegelbrecher auf der Bruchsohle. © Christian Lademann
Der Steinbruch in Niedergirmes
Im Niedergirmes Bruch wurde lange Zeit Kalk abgetragen. Seit der Stilllegung hat die Natur das Gebiet zurückerobert. © Sabine Glinke

Geschichte der Grube Malapertus

Die Geschichte der Grube Malapertus beginnt im Jahr 1852. Damals wurde das Grubenfeld vom Königlichen Handelsministerium in Berlin an den Villmarer Bergwerksunternehmer Philipp Heyl verliehen. Ursprünglich sollte dort Mangan gefördert werden, was ab 1860 auch erfolgte, allerdings auf Grund der zu geringen Vorkommen wenig erfolgreich, so dass die Förderung immer wieder eingestellt und wiederaufgenommen wurde. 1872 erwarben die Buderus’schen Eisenwerke das Bergwerk. Der Manganabbau wurde 1931 endgültig eingestellt – fortan diente der Bruch in Niedergirmes zum Abbau von Kalkstein; 1934 wurden die Kalkbrüche Niedergirmes und Hermannstein zum heutigen Komplex „Grube Malapertus“ zusammengelegt. Die Kalkvorkommen in diesem Gebiet rühren aus dem Erdzeitalter des Devon, als Hessen noch am Äquator unter Wasser lag. Einstige Korallenkolonien wurden zum späteren Kalkstein. Ab 1956 war der Kalksteinbruch Hermannstein der Hauptförderbetrieb für das Zementwerk, das bei der späteren Zerteilung von Buderus an Heidelberg Cement überging. Bis 1957 erfolgte der Abbau noch bergmännisch im Tiefbau, von da an im großflächigen Tagebau. Bis zur Stilllegung des Hochofens im Jahre 1981 wurde im Bruch Niedergirmes noch unter Tage Kalkstein als Zusatzmittel zur Eisenverhüttung gebrochen. In die vorhandenen Stollen der Grube Malapertus wurde eine Bandstraße verlegt, über die der Kalkstein aus beiden Brüchen ins Zementwerk transportiert wurde. 1986 belief sich die jährliche Fördermenge der beiden Buderus’schen Kalkbrüche auf ca. 600.000 Tonnen. Durch den Wasserlösungsstollen, der zum Gelände der heutigen August-Bebel-Schule führt, wird auch heute noch das Grundwasser aus den beiden Brüchen abgeleitet.

Kontakt & Information

Teufenmesser, der die Tiefe der Förderkörbe anzeigt Sabine Glinke
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