Sprungmarken
Suche
Suche

"Wenn man sich von außen der Stadt nähert, dann ist der Dom die Kirche, die man sieht". Pfarrer Björn Heymer hat Recht: Von weithin sichtbar ragt der Wetzlarer Dom über die Stadt. Er ist das Wahrzeichen Wetzlars, findet sich im städtischen Logo wieder, prangt auf Aufklebern, Broschüren und Souvenirs.
Der Dom zu Wetzlar
Blick auf den Dom vom Domplatz. © Sabine Glinke

Aktiv gelebte Ökumene

Keine Frage: Aus touristischer Sicht ist der Dom das wichtigste Gebäude in der Stadt. Aber auch kirchenhistorisch nimmt der Dom eine ganz besondere Rolle ein: Er ist die älteste Simultankirche im Bereich der evangelischen Kirche im Rheinland und gehört zu den ältesten Kirchen in Deutschland, die von Katholiken und Protestanten gemeinsam genutzt werden. Seit der Reformation agieren hier beide Konfessionen in freundschaftlicher Koexistenz unter einem Dach. Demnach nimmt der Wetzlarer Dom, der der Definition nach eigentlich gar kein Dom ist, nicht nur im laufenden 500. Jahr der Reformation durch Martin Luther eine Sonderstellung ein. Björn Heymer und seine Kirchengemeinde "teilen" sich den Sakralbau mit der Priester Peter Kollas und der katholischen Kirchengemeinde Wetzlars.
Innenansicht des Doms.
Innenansicht des Doms. © Sabine Glinke

Umbau ohne Abschluss

Doch die aktiv gelebte Ökumene ist nicht die einzige Besonderheit der Kirche: Betrachtet man den Dom einmal genauer, fällt auf, dass an dem Bau zwar auf den ersten Blick die rote Sandsteinfassade dominiert, gleichzeitig aber verputzte Sandflächen das Bild prägen. Die Fassade ist offensichtlich unfertig; der geplante zweite Turm gelangte nie über das Sockelgeschoss hinaus. Ein großes Mittelportal ist angelegt, doch es fehlt die Treppenrampe, um hinaufzusteigen. Hinter der Fassade klafft leerer Raum, begrenzt durch eine zweite Fassade. Tatsächlich sollte im 13. bis 15. Jahrhundert der einstige romanische Kirchenbau durch einen Nachfolgebau im gotischen Stil ersetzt und erweitert werden. Die erfolgte, so damals üblich, durch Errichtung eines neuen Baus um den noch nicht entfernten Vorgänger herum, der erst später abgerissen werden sollten. Doch: Die Umbauphase wurde niemals abgeschlossen und so blieben die verschiedenen ineinander verschachtelten Bauabschnitte zum Teil erhalten. Für Björn Heymer ist genau diese Unvollendetheit der sehenswerteste Aspekt im Dom. Er empfiehlt Besuchern, einen Blick auf das westliche Portal zu werfen, wo man den romanischen Kirchenbau mit dem Turm daneben sehe, der von einer weiteren gotischen Kirche ummantelt sei. "Hier lässt sich die ursprüngliche Bauidee am besten nachvollziehen", erklärt er, aber das romanische Portal sei auch für sich alleine sehenswert.
Das alte Taufbecken im Wetzlarer Dom.
Das alte Taufbecken im Wetzlarer Dom. © Sabine Glinke
Blick auf die Orgel.
Blick auf die Orgel. © Sabine Glinke

Ein echter Touristenmagnet

Priester Kollas verweist auf ein anderes Lieblingsstück: Neben dem alten Taufbecken aus romanischer Zeit empfiehlt er Touristen, einen Blick auf die Pietà (1370/1380) in der Johanniskapelle zu werfen. Das Kunstwerk zeigt den toten Leib Christi, der schräg auf dem Schoß von Maria liegt. Das Kunstwerk spiegele auf beeindruckende Weise den Schmerz Jesus und den seiner Mutter wider. "Die Menschen sind davon oft sehr berührt", schildert Kollas seine Erfahrungen. Schon im Mittelalter habe die Pietà Überlieferungen zu Folge eine große Rolle gespielt. "Die Wunden sind so groß, dass die Menschen in Zeiten der Pest ihre Hände hineinlegen konnten." Der Dom sei ein echter Touristen-Magnet, weiß Kollas. Besucherzahlen würde zwar nicht erhoben, aber: "Es kommen sehr viele Reisegruppen nach Wetzlar und die Erfahrung zeigt: Der Dom muss immer dabei sein". Zahlreiche Führungen der Tourist-Information Wetzlar haben den Dom als feste Station im Programm, und auch die beiden Geistlichen machen auf Anfrage Führungen. "Auch in habe das Gefühl, dass der Dom sehr stark frequentiert ist", ergänzt Björn Heymer. Das habe sicherlich damit zu tun, dass der Sakralbau täglich geöffnet und ohne Voranmeldung und Eintritt erreichbar sei. "Wenn die Menschen merken, dass sie hier hereinkommen, dann treten sie auch ein". Die fest installierte Domaufsicht schaut nach dem Rechten und steht auch bei Fragen zur Verfügung, am Wochenende ist außerdem die Dominformation geöffnet.
Die beiden Pfarrer
Ökumene im Einklang: Björn Heymer (links) und Peter Kollas (rechts) am neuen Taufbecken. © Sabine Glinke

Feste Termine für die Ökumene

Doch nicht nur touristisch hat der Dom eine besondere Stellung. Für die beiden Geistlichen macht vor allem die aktiv gelebte Ökumene der beiden Kirchengemeinden den Wetzlarer Dom so attraktiv. Denn die Evangelische Kirchengemeinde und die katholische Pfarrei Unsere liebe Frau existieren nicht nur nebeneinander, sondern reichen sich in Wetzlar sprichwörtlich die Hand: Regelmäßig finden gemeinsame Gottesdienste statt - feste Termine sind Pfingstmontag sowie der Silvesterabend. "Wir sind dabei einen dritten festen Termin während der Passionszeit zu implementieren", sagt Pfarrer Heymer. Er und sein Kollege Kollas sind stolz, in Wetzlar eine Vorreiterstellung einzunehmen: "Im Bewusstsein der Menschen ist es nicht so selbstverständlich, dass beide Konfessionen mit einer Stimme sprechen". "Uns ist es gelungen, den Blick auf das viele Gemeinsame zu lenken statt auf die Unterschiede", ergänzt Kollas.

Dass der Dom rein der Definition nach gar kein Dom ist - das dürfte den meisten Wetzlarern ziemlich schnurz sein. Denn genau genommen spricht man nur bei einem Bischofssitz von einem Dom. Die Bezeichnung Dom setzte sich Ende des 17. Jahrhunderts durch, nachdem der Erzbischof von Trier 1671 - Wetzlar gehörte bis 1933 zum Bistum Trier und wurde erst dann dem Bistum Limburg zugeordnet - das Amt des Stiftspropstes übernommen hatte.
Das könnte Sie auch interessieren:
Blick auf die Orgel. Sabine Glinke
3 / 4